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Schwangerschaft und Epilepsie
Epilepsie: Fehlbildungen und kognitive Störungen durch vorgeburtliche Valproinsäure-Exposition
LIVERPOOL/BOSTON. Das Anti-Epileptikum Valproinsäure ist in hohem Maße teratogen. Nach jetzt in Neurology publizierten Studienergebnissen erleidet jedes zehnte in der Frühschwangerschaft exponierte Kind schwere Fehlbildungen. Auch die spätere kognitive Entwicklung ist gestört. Lamotrigin scheint dagegen weitgehend frei von teratogenen Wirkungen zu sein. Die Behandlung von Epilepsie-Patientinnen im gebärfähigen Alter ist ein echtes Dilemma. Einerseits ist eine Anfallsprophylaxe in der Schwangerschaft besonders wichtig. Denn jeder Krampfanfall gefährdet die Gesundheit und das Leben des Ungeborenen, wie Patricia Penovich von der Minnesota Epilepsy Group PA aus St.Paul in ihrem Editorial in Neurology (2005; 64: 938-939) schreibt. Und Valproinsäure ist ein effektives Anti-Epileptikum. Andererseits kann Valproinsäure zu schweren Fehlbildungen führen, und alle Valproinsäure-Präparate weisen im Beipackzettel darauf hin. Dort wird aber auch behauptet, dass diese Missbildungen in ähnlicher Häufung auch bei anderen Anti-Epileptika auftreten. Dies muss nach den neueren Untersuchungen jedoch infrage gestellt werden, meint Lewis Holmes vom Massachusetts General Hospital in Neurology. Frühere Studien hätten vor allem das Risiko von Neuralrohrdefekten wie Spina bifida gefunden. Es komme aber noch zu anderen Fehlbildungen. Bisher habe keine Studie das Ausmaß des Risikos und die Rate der einzelnen Fehlbildungen detaillierter untersucht. Hierzu wurde jetzt das “North American AED Pregnancy Registry” ausgewertet. Das Register wurde im Jahr 1996 eingerichtet und hat bisher prospektiv Daten zu mehr als 4 000 Frauen aus den USA und Kanada gesammelt, die Anti-Epileptika während der Schwangerschaft eingenommen haben. Die Frauen wurden telefonisch kontaktiert, und die Ärzte konnten die Krankenakten von Mutter und Kind einsehen. Ergebnis: Von den 149 Frauen, die im ersten Trimenon der Schwangerschaft mit Valproinsäure in einer Monotherapie behandelt worden waren, brachten 16 ein Kind mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Dies ergibt eine Rate von 10,7 Prozent, die sieben Mal höher war als in einer externen Vergleichsgruppe von nicht-exponierten Feten (Relatives Risiko 7,3; 95-Prozent-Konfidenzintervall 4,4 - 12,2; p < 0,001). In einer internen Vergleichsgruppe von Schwangeren, die mit anderen Anti-Epileptika behandelt wurden als einer Monotherapie mit Valproinsäure, war die Rate von Fehlbildungen ebenfalls niedriger: Sie betrug 2,9 Prozent (2,0 - 4,1 Prozent) und war damals viermal geringer als unter einer Monotherapie mit Valproinsäure (Odds Ratio: 4,0; 2,1 - 7,4; p < 0,001). Holmes riet den Neurologen, das Problem ernster zu nehmen, als dies derzeit vielleicht geschehe. Auf keinen Fall sei es ausreichend, den Frauen zusätzlich Folsäure zu verschreiben, um damit Neuralrohrdefekte zu verhindern. Alle Schwangeren in der Studie, deren Kinder Missbildungen davontrugen, seien mit Folsäure behandelt worden. Auch Kinder, die bei der Geburt noch unauffällig waren, haben möglicherweise einen Schaden erlitten. Dies fand die Liverpool and Manchester Neurodevelopment Study Group um Gus Baker, Liverpool, heraus. Die Gruppe untersuchte 256 Kinder von 163 Epilepsie-Patientinnen. Die Kinder waren zwischen sechs und 16 Jahre alt. Ergebnis: Die 41 Kinder, die während der Schwangerschaft mit Valproinsäure exponiert waren, hatten Behinderungen in der sprachlichen Entwicklung. Ihr verbaler IQ betrug nur 84 gegenüber einem verbalen IQ von 99 bei Kindern, die intrauterin mit Phenytoin exponiert waren, und einem verbalen IQ von 92 von nicht-exponierten Kindern. Extrem niedrige IQ-Werte (unter 69) die einer mentalen Retardierung entsprechen, waren bei den Valproinsäure-Exponierten mehr als dreifach häufiger als bei den Nicht-Exponierten. (22 versus 7,5 Prozent). Obwohl es sich bei der Untersuchung um eine retrospektive Studie handelt - mit dem Risiko einer verzerrten Darstellung - scheinen diese Ergebnisse doch ein besonderes Risiko von Valproinsäure anzuzeigen. Alternativen sind gesucht. Ein Kandidat ist die in den 90er-Jahren eingeführte Substanz Lamotrigin. Die Erfahrungen mit dieser Substanz sind deshalb noch geringer als mit den “älteren” Anti-Epileptika. Der Hersteller hat jedoch ein Register eingerichtet. Ebenfalls in Neurology (2005; 64: 955-960) werden daraus Daten zu 414 Kindern mitgeteilt, die im ersten Trimenon mit Lamotrigin (in der Monotherapie) exponiert waren. Marianne Cunnington und Mitarbeiter von GlaxoSmithKline in Harlow/Großbritannien berichten, dass es 12 Fälle von schweren Fehlbildungen gegeben habe. Dies entspräche einer Rate von 2,9 Prozent. Sie könnte im Bereich der Fehlbildungsrate in der Gesamtbevölkerung liegen, die mit zwei bis drei Prozent angegeben wird. Bei den Kindern, deren Mütter in der Frühschwangerschaft neben Lamotrigin noch Valproinsäure erhalten hatten, betrug die Fehlbildungsrate 12,5 Prozent. Auch dies ist ein starker Hinweis darauf, dass nicht alle Anti-Epileptika die gleiche teratogene Potenz haben, wie derzeit in den Fachinformationen zu Valproinsäure behauptet wird. Patricia Penovich rät in ihrem Editorial dennoch zu einer zurückhaltenden Bewertung von Lamotrigin. Die Zahlen seien zwar beachtlich, die Erfahrungen mit den neuen Anti-Epileptika jedoch noch gering. Die Expertin riet den Ärzten, vor einer geplanten Schwangerschaft ihrer Patientinnen nach Möglichkeit eine Monotherapie anzustreben./rme gefunden im Ärzteblatt 22. März 2005 Liebe Grüße Manuela KommentareFür den Inhalt der Kommentare sind die Verfasser verantwortlich. |