| Hallo Eiskristall,
das Problem, das du schilderst, kenn ich ebenfalls gut. Mir wird oft mehr zugetraut, als ich mir selber zutraue. Beispiel: ich hab Gleichgewichtsprobleme und kann deshalb nicht auf Hängebrücken drauf. Ok, für jemand, der mich jetzt nicht näher kennt und weiß, ich hab nen HC, der sagt dann vielleicht: "Ja, aber du kannst ich doch da hoch, du läufst doch!" Klar, ich laufe... aber: MUSS ich mir deshalb alles zumuten bzw. alles können, was ein "Gesunder" kann? Ich hab immer noch große Schwierigkeiten, diese - wie Michaela so schön schrieb - "unsichtbare" Behinderung zu akzeptieren, obwohl ich seit mittlerweile 33 Jahren damit leben muss. Immer wieder stoße ich an Grenzen, von denen ich denke, dass ich sie überwinden MUSS, weil das Umfeld - Kollegen, Familie, Verwandte usw. - das erwartet. So nach dem Motto: "Was will die denn? Sie labert was von wegen Behinderung und dabei hat sie ja nix!" Ja, äußerlich. Da wird dann oft erwartet, dass ich meine Belastungsgrenze ignoriere und einfach weitermache. So nach dem Motto: "Die hat doch nix, die soll sich net so haben!"
Tja, ich hab Feinmotorikprobleme, fieselige Sachen, wie z. B. einen Faden in ein Nadelöhr einfädeln krieg ich GAR NICHT hin - nicht mal mit Einfädelhilfe oder bei der Nähmaschine. Oder auch nur, dass ich auf der Arbeit für manches mehr Konzentration brauch, z. B. wenn ich für meinen GL Briefe zählen muss, weil er wissen will, wieviele es sind. Oder beim Briefe frankieren an der Maschine. Oder.... oder... oder.... Die Liste ist lang.
Dass häufige Kopfschmerzen u. a. zu den Probs gehören, die manche HC-Betroffene haben, muss ich wohl nicht weiter ausführen, denke ich. Ich glaube, die Beschreibung "unsichtbare Behinderung" trifft für HC sehr gut zu. Einerseits ist das ein Segen, weil man nicht sofort auffällt, andererseits sehen sich viele dem Druck, sich immer rechtfertigen zu müssen, oft nicht gewachsen. So gehts mir oft. In meiner Kindheit wurde ich oft an meinen jüngeren Geschwistern gemessen, was die schon können und ich nicht. Immer wieder hieß es: "Schau dir an, was deine jüngeren Geschwister schon können!" Klar... und ich hab mich geschämt, weil ich immer den Eindruck hatte, ich werd beobachtet - auf Schritt und Tritt und nicht nur von meiner Familie und Verwandten, sondern auch von Fremden, die genau verfolgen, wie ich laufe, meine Haltung taxieren usw.
Ich bin inzwischen dabei, zu lernen, dass es okay ist, wenn ich auf meinen Körper höre. Wenn ich morgens beim Aufwachen merke, ich hab heftige Kopfschmerzen, dann zögere ich nicht mehr, mich auf der Arbeit für ein, zwei Tage krankzumelden. Aber ich brauch noch viel Zeit, bis ich soweit bin, das ohne schlechtes Gewissen zu machen. Immer hab ich den Eindruck, nur weil ich laufen kann, muss ich gesundheitlich robuster sein als meine Zwillingsschwester - ebenfalls HC-Betroffene und zudem noch mit Tetraspastik betroffen und Rollstuhlfahrerin. Was es wohl so schwer macht: wir leben nun mal in einer Leistungsgesellschaft - und wer da nicht mithalten kann, wird halt schief angeschaut, um es mal salopp zu sagen. Andererseits heißt es doch: niemand ist perfekt. [addsig] |